Papst Franziskus zum Sonntag des Guten Hirte

Papst Franziskus zum Sonntag des guten Hirten

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Der vierte Sonntag der Osterzeit, den wir heute feiern, ist Jesus, dem Guten Hirten, gewidmet. Im Evangelium heißt es: „Die Schafe hören auf seine Stimme; er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen“ (Joh 10,3). Der Herr ruft uns beim Namen, er ruft uns, weil er uns liebt. Aber – so heißt es im Evangelium weiter – es gibt auch noch andere Stimmen, auf die man nicht hören soll: die von Fremden, Dieben und Räubern, die den Schafen Böses wollen.
Diese unterschiedlichen Stimmen wollen sich in uns Gehör verschaffen. Da ist die Stimme Gottes, die sanft zum Gewissen spricht, und da ist die verführerische Stimme, die zum Bösen verleitet. Wie können wir die Stimme des Guten Hirten von der des Diebes unterscheiden; wie erkennen, was Inspiration Gottes und was Einflüsterung des Teufels ist? Man kann lernen, diese beiden Stimmen zu unterscheiden: Sie sprechen nämlich zwei verschiedene Sprachen, haben eine gegensätzliche Art und Weise, zu unseren Herzen vorzudringen. Sie sprechen verschiedene Sprachen, und so wie wir es verstehen, eine Sprache von der anderen zu unterscheiden, können wir auch die Stimme Gottes von der des Bösen unterscheiden. Die Stimme Gottes hat nie etwas Zwingendes: Gott bietet sich an, er drängt sich nicht auf. Die Stimme des Bösen dagegen verführt, überfällt, zwingt sich auf: Sie weckt schillernde Illusionen; Emotionen, die verlockend, aber vergänglich sind. Zuerst ist sie schmeichelnd, lässt uns glauben, dass wir allmächtig sind, dann aber hinterlässt sie in uns eine innere Leere und macht uns den Vorwurf: „Du bist nichts wert!“ Die Stimme Gottes dagegen korrigiert uns mit viel Geduld; wird nicht müde, uns immer wieder zu ermutigen und zu trösten – und immer macht sie Hoffnung. Die Stimme Gottes hat einen Horizont, während die Stimme des Verführers uns an eine Mauer, in die Ecke drängt.
Aber da ist noch ein weiterer Unterschied: Die Stimme des Feindes lenkt uns von der Gegenwart ab; sie will, dass wir uns auf die Angst vor der Zukunft konzentrieren oder der Vergangenheit nachtrauern. Der Feind will die Gegenwart nicht. Er lässt die bittere Erinnerung an erlittenes Unrecht, an Menschen, die uns verletzt haben, und viele schlechte Erinnerungen in uns wieder aufleben. Die Stimme Gottes dagegen spricht zur Gegenwart: „Du kannst jetzt Gutes tun; du kannst jetzt die Kreativität der Liebe üben; du kannst jetzt der Reue und den Gewissensbissen entsagen, die dein Herz gefangen halten.“ Sie belebt uns, bringt uns vorwärts, aber sie spricht in der Gegenwart: jetzt.
Aber da ist noch mehr: Die beiden Stimmen werfen unterschiedliche Fragen in uns auf. Die Stimme, die von Gott kommt, wird fragen: „Was tut mir gut?“. Die Frage des Verführers dagegen wird lauten: „Wonach steht mir der Sinn?“ Wonach steht mir der Sinn: Die Stimme des Bösen dreht sich immer um das Ich, seine Triebe, seine Bedürfnisse, und es will immer alles, und das sofort. Das ist wie die Sperenzchen von Kindern: alles und sofort. Die Stimme Gottes dagegen verspricht keine billige Freude: Sie lädt uns ein, über unser Ich hinauszugehen, damit wir das wahre Gut finden können, den Frieden. Denn eines dürfen wir nicht vergessen: Das Böse schenkt niemals Frieden, es beginnt mit Besessenheit und hinterlässt Bitterkeit. Das ist der Stil des Bösen.
Die Stimme Gottes und die Stimme des Verführers sprechen auch in einem unterschiedlichen „Umfeld“ zu uns: Der Feind bevorzugt die Dunkelheit, die Falschheit, das Geschwätz; der Herr dagegen liebt das Tageslicht, die Wahrheit, die aufrichtige Transparenz. Der Feind wird zu uns sagen: „Kapsel dich ab, es versteht dich ohnehin niemand; niemand hört dir zu, trau den anderen nicht!“ Das Gute dagegen lädt dazu ein, sich zu öffnen, aufrichtig zu sein, Vertrauen zu Gott und zu den anderen zu haben.
Liebe Brüder und Schwestern, in dieser Zeit bringen uns so viele Gedanken und Sorgen dazu, uns den anderen zu verschließen. Achten wir auf die Stimmen, die zu unserem Herzen sprechen. Fragen wir uns, woher sie kommen. Bitten wir um die Gnade, die Stimme des Guten Hirten zu erkennen und auf diese Stimme zu hören, die uns aus dem Gefängnis unseres Egoismus befreit und uns zu den Weiden der wahren Freiheit führt. Möge die Muttergottes, die Mutter vom Guten Rat, unseren Unterscheidungsprozess leiten und begleiten.

Share by: