Predigt zur Jahreslosung: Ich glaube - hilf meinem Unglauben!


"Ich glaube – hilf meinem Unglauben!“
  
So bittet der Vater im Markusevangelium (9,24) Jesus für seinen kranken Sohn.
Offensichtlich ist beides gleichzeitig da: Glaube und Unglaube.
Wie kann das sein?
Und damit stellt sich auch die Frage: Was ist glauben eigentlich? Wie geht Glauben?
Und wie funktioniert er im Alltag? Wie wirkt er sich da aus?

Wenn in der Bibel vom Glauben die Rede ist, geht es ja nicht in erster Linie um das für wahr halten irgendwelcher Dogmen, sondern um Beziehung: um die Beziehung zu Gott.
Manchmal hilft es, in eine andere Sprache zu schauen. Und da ich meine katholische Herkunft nicht verleugnen kann: im Lateinischen ist es so, dass das Wort für Glauben  - fides – eng verwandt ist mit fidelitas – Vertrauen. Vertrauen aber, so formulierte es einer unserer Mitbrüder einmal, heißt: auf die Treue eines anderen zu bauen, sich in der Treue des anderen festmachen.
Glauben wäre dann: Sich in der Treue Gottes festmachen, darauf bauen, dass Er zu mir steht und dass Er will, dass ich lebe, ja wie Johannes 10,10 sagt: dass wir - dass ich! - „das Leben habe und es in Fülle habe.“
Das ist weit mehr, als irgendwelche Glaubenswahrheiten anzunehmen. Um die wird es vielleicht auch irgendwann gehen – aber das Eigentliche ist das nicht: das Eigentliche ist die Beziehung zu Gott, die aus diesem Vertrauen, diesem sich festmachen an Seiner Treue wächst – und die gleichzeitig eben dieses Vertrauen weiter wachsen lässt.
Und da kann durchaus beides gleichzeitig da sein: Ich will auf Gott vertrauen und tue es ja damit auch schon ein Stück weit. Und gleichzeitig ist da auch ein Misstrauen da: So ganz traue ich Ihm dann doch nicht über den Weg. Wenn man jemandem begegnet, der stärker ist als man selbst, dann ist es gut, vorsichtig zu sein – und Gott ist unendlich stärker als ich.
Vielleicht noch einmal ein Blick ins Lateinische: Wenn man das Glaubensbekenntnis auf Latein betet, dann heißt es: Credo in unum Deum. Das ist ein Ausdruck, der sich ins Deutsche eigentlich so gar nicht übersetzen lässt. Da steht der Akkusativ. Es heißt also eben nicht: Ich glaube an Gott, wie wir immer beten, sondern es zeigt ein Richtung, eine Bewegung an: Ich glaube mich in Gott hinein.
Damit ist genau das ausgedrückt: dass Glaube nie etwas Fertiges ist, nie etwas, was ich „habe“. Sondern eben: eine Beziehung, in die ich (hoffentlich!) immer tiefer hineinwachse. Und genau wie menschliche Beziehungen auch, verändert sie sich. Es kann da sein wie bei einer Spirale, in der ich immer wieder an denselben Punkt komme und gleichzeitig immer mehr zur Mitte hin:  Ich mache die Erfahrung, dass Gott mir treu ist, mich liebt und für mich das Leben, das Leben in Fülle will. Und je mehr und intensiver ich diese Erfahrung mache, desto mehr kann ich auch immer wieder neu den Sprung ins Vertrauen wagen, um dann erneut mit dieser Erfahrung der Treue Gottes beschenkt zu werden.

Es gibt eine kleine Geschichte, die für mich erläutert, wie das so im Alltag funktioniert (Vielleicht kennt der Eine oder die Andere diese Geschichte schon, aber ich denke, das macht nichts): Da schläft ein Junge vor der Weihnachtskrippe ein. Und er weiß nicht so recht, ob er träumt oder nicht – jedenfalls beginnt das Jesuskind zu reden. Der Junge ist begeistert, und großzügig wie er ist, bietet er dem Kind in Krippe alle möglichen Geschenke an: Das Fahrrad, die Paymobilfiguren, seinen neuen Baukasten und noch so manches andere mehr. Aber das Christkind winkt ab: All das gibt es im Himmel auch, und viel besser. Aber es will doch ein Geschenk, aber eines, dass es im Himmel nicht gibt.
Ein Geschenk, das es im Himmel nicht gibt? Der Junge stutzt. Und während er noch überlegt, sagt das Jesuskind: „Ich wünsche mir von Dir deinen letzten Schulaufsatz.“
Der Junge ist sehr verlegen. „Jesus“, stottert er, „da steht aber doch drunter: Ungenügend.“
„Ja“, sagt da das Christkind: „Eben, gerade deshalb möchte ich ihn von Dir haben.“
Und noch während der Junge fragt: „Warum denn?“ wird ihm selbst die Antwort plötzlich klar: ungenügend! Das ist etwas, was es im Himmel nicht gibt! Und er hört das Jesuskind weitersagen: „Immer sollst Du mir das geben, was in Deinem Leben ungenügend ist. Versprichst Du mir das?“ Und der Junge verspricht es.
Als zweites wünscht sich das Jesuskind seine Kakaotasse. Und wieder ist es dem Jungen unangenehm. Er sagt: „Aber - die die ist doch zerbrochen!“ „Ja“, sagt da das Christkind wieder. „Das ist das Zweite: ich möchte all das von Dir haben, was zerbrochen ist in deinem Leben, denn ich will es heil machen. Versprichst Du es mir?“ Und der Junge antwortet: „Ja!“
„Aber ich habe noch einen dritten Wunsch“, fängt das Jesuskind noch einmal an. „Ich möchte noch die Antwort haben, die Du Deiner Mutter gegeben hast, als sie dich gefragt hat, wie denn die Tasse kaputt gegangen ist!“
Da wird der Junge erst recht traurig. Und er bringt mühsam hervor: „Ich - ich habe doch gelogen. Ich habe gesagt, sie ist runtergefallen. Und in Wirklichkeit habe ich die Tasse auf den Boden geschmissen vor lauter Wut.“
Und im mitfühlenden Ton sagt das Jesuskind zu ihm: „Du sollst mir immer, dein ganzes Leben lang, alles bringen, was Lüge, was nicht in Ordnung war und wofür Du Dich schämst. Versprichst Du mir auch das?“ Das tröstet den Jungen und er verspricht auch dies.

Gott in meinem Leben all das zu geben, was ungenügend, zerbrochen, ja sündig ist – das kann ich nur, wenn ich darauf vertraue, dass Er mich auch damit annimmt und liebt, wie ich bin – und will, dass ich lebe, dass ich das Leben in Fülle habe trotz all dem und durch all das hindurch.
Gleichzeitig hat es etwas ungeheuer Befreiendes: Denn ich brauche all das nicht mehr zu verstecken. Ich kann es anschauen und da sein lassen und dann Ihm überlassen – bei Ihm ist es aufgehoben, und Er wird damit fertig.
Es ist im Grunde genau das, was Markus mit den Worten ausdrückt: Ich glaube – hilf meinem Unglauben! Auch meinen Unglauben, meinen Mangel an Vertrauen kann ich Gott schenken und mich immer wieder neu Ihm damit überlassen.
Damit ist nicht gemeint, dass es dann in alle Ewigkeit so bleibt und ich immer so weiter machen kann. Ganz im Gegenteil. Die Psychologen sagen uns, dass sich etwas nur ändern kann, wenn es angeschaut wird. Und genau das passiert: Um Gott das Ungenügende Zerbrochene, Sündige, Ungläubige in mir schenken zu können, muss ich es erst einmal anschauen, muss mich meiner eigenen Wahrheit stellen. Das ist alles andere als leicht - und erst recht ist es nicht angenehm oder bequem.
Tue ich das aber, so setzt es ungeahnte Kräfte frei: Die Wahrheit wird euch frei machen (Joh 8,32). Und diese Kraft wird uns helfen, unser Leben zu bestehen. Und dazu gehört auch die Kraft, an mir zu arbeiten, damit dieses Ungute eben nicht in alle Ewigkeit so bleibt wie es ist.

Wir alle schlagen uns im Alltag mit mehr oder weniger großen oder kleinen Problemen herum. Und in den allerseltesten Fällen greift Gott ein, indem Er diese Probleme einfach verschwinden lässt. In aller Regel hilft Er uns, indem Er uns befähigt, oder auch indem er uns im richtigen Augenblick die richtigen Leute vorbeischickt. Er ist da sehr diskret – meistens bemerken wir Seine Hilfe gar nicht.
Daher kann es sehr hilfreich sein sich abends bei einem Rückblick auf den Tag zu fragen: Was gab es da heute, wofür ich dankbar sein kann, was mir gelungen ist, wo ich vielleicht auch Hilfe erfahren habe? Wenn man das regelmäßig macht, verändert es das Leben: Unser Blick verändert sich.
Es wächst das Vertrauen darauf, dass Gott mein Leben will, nicht nur das Überleben, sondern das Leben in Fülle – und das trotz all dem Ungenügendem, Zerbrochenen, Sündigem und durch es hindurch. Und das setzt ungeahnte Kräfte frei.

Eine gute Bekannte von uns ist vor kurzem mit ihrem Mann, der zunehmend Hilfe und Pflege braucht, in ein betreutes Wohnen gezogen. Dabei hatte sie mit einem ganzen Haufen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ihr Resümee im Rückblick – wie gesagt: im Rückblick! – war: „Gott hat für jedes Problem eine Lösung.“ Er hatte ihr die Kraft und die Phantasie geschenkt, die sie gebraucht hatte.
Es ist schon etliche Jahre her, da fiel eine Entscheidung, mit der ich alles andere als glücklich war: Ich sah da einen Haufen Probleme auf mich zukommen. Am Abend des Tages stieß ich auf die Stelle aus dem Römerbrief, die wir eben gehört haben: „Gott führt bei denen, die Ihn lieben, alles zum Guten.“ Und ich muss sagen: es hat sich beides bewahrheitet: Ich bin dann tatsächlich in die tiefste Krise meines Lebens gerutscht. Und konnte im Nachhinein – natürlich erst im Nachhinein! - sagen: Gott hat sie zum Guten geführt, Er hat mir damit einen inneren Wachstumsschub beschert.
In einem Lied, das ich sehr gern singe, heißt es: „Du (Gott) bist‘s, der mir erlaubt, aufrecht zu gehen und wo ich’s nie geglaubt, Wege zu sehen.“
Diese Erfahrung möchte ich uns allen wünschen. Und dazu segne uns der gütige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.
Amen.

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