Impuls zum Johannesevangelium II

Impuls zum Johannesevangelium II



Joh. 10, 27-30

Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie und sie folgen mir.

Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen. Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen. Ich und der Vater sind eins.

 

 

Impuls 2

 

Ich kenne sie, heißt es in unserem Evangelium. Das ist zunächst einmal etwas ungeheuer Tröstliches: Jesus, Gott kennt mich, kennt mich beim Namen, mich ganz persönlich und unverwechselbar.

Freilich: wenn Gott jemanden kennt, dann kennt Er sie oder ihn durch und durch – und Paulus sagt ja auch, er sei „durch und durch erkannt“ von Gott. Damit stellt sich natürlich die Frage: Will ich das eigentlich – dass Gott mich durch und durch erkennt? Regt sich nicht vielleicht Erschrecken?

Keine Sorge: Gott ist nicht nur sehr behutsam, Er ist vor allem so lehrt uns Teresa von Avila, „ein Freund jeglichen Einnehmens“. Also: Wenn ich an irgendeinen Winkel oder eine Kammer meines Herzens ein Schild mache: „Betreten verboten!“ und Ihm sage, dass Er da bitte schön nicht hineinschauen soll - dann respektiert er das. Freilich um den Preis, dass ich mit dem, was sich in dieser Kammer befindet, dann allein fertig werden muss, ohne Seine Hilfe.

 

Was aber passiert, wenn ich mich dann die Tür dieser Kammer (oder wenigstens ein Fenster, so mal für den Anfang) öffne und Sein Licht hineinfällt?

 

So manches relativiert sich dann: Was groß und wichtig erschien, verliert an Bedeutung. Gleichzeitig finden sich bisweilen unter einer dicken Staubschicht verborgen wahre Schätze – eine wirklich geglückte Begegnung vielleicht oder eine tiefe Erfahrung der Gegenwart Gottes, die in Vergessenheit geraten war.

Anderes, was mir schwer auf dem Herzen lag, kann ich Ihm überlassen; manches entpuppt sich vielleicht als Schuldgefühl und nicht als Schuld und löst sich unter seinem Blick auf.

Gerade in der Stille kommen gelegentlich auch verdrängte Verletzungen an die Oberfläche – und können unter Seinem Blick dann auch heilen.

Freilich: Ja, es gibt auch diese Momente, in denen ich vor Ihm stehe und der Blick Jesu mich trifft, wie er damals Petrus traf, nachdem dieser in dreimal verleugnet und der Hahn zum dritten Mal gekräht hatte. Und: ja, diese Momente sind hart – und gleichzeitig ungeheuer befreiend: Denn auch dieser Blick Jesu ist ein Blick der Liebe, der nicht niederdrückt, sondern aufrichtet und nicht verurteilt, sondern verwandelt. „Dein Blick löscht Fehl und Sünde aus“, heißt es in einem der Hymnen im Stundengebet.

 

Was geschieht, wenn ein Mensch diesen Blick wirklich zulässt sich wirklich von Gott anschauen lässt, dass beschreibt Johannes vom Kreuz, ein Karmelit aus dem 16. Jahrhundert: in seinem geistlichen Gesang geht es um nichts anderes als um diesen liebenden Blick Gottes auf mich und um das, was geschieht, wenn ich mich darauf wirklich einlasse und mich davon verwandeln lasse.

In der fünften Strophe, also noch ziemlich am Anfang, beschreibt Johannes, wie die Schöpfung antwortet auf die Frage, ob sie Gott gesehen habe. Und Johannes lässt sie jubilieren und ausrufen: „Eilig schritt Er durch diese Haine“ (gemeint ist eben die Schöpfung) und „indem Er sie im mit Seinen Blicken streifte“, also nur durch einen flüchtigen Blick im Vorübereilen, „hat in Schönheit gekleidet Er sie zurückgelassen“. Und dabei verstreute Er tausend - „gracias“ steht da im Spanischen. Und das bedeutet natürlich Gnade und bringt damit zum Ausdruck, dass das was geschieht, reines Geschenk ist und völlig unverdient.

Aber die Bedeutung von gracia, gracias ist ja viel weiter: es bedeutet auch Dank – für mich klingt dieser Satz des Johannes vom Kreuz, als würde sich Gott geradezu noch dafür bedanken, dass Er Seine Schöpfung – mich! – beschenken darf.

Und natürlich hat gracia, gracias noch eine dritte Bedeutung, die an dieser Stelle die eigentliche, wichtigste ist: es bedeutet auch Anmut, Schönheit, Wohlgestalt, Liebreiz, Grazie. Und damit ist kein oberflächliches Beautyideal gemeint, sondern dass das, was im Menschen, in mir schon immer angelegt war, zur Blüte, zur Reife, zur vollen Entfaltung kommt – Selbstverwirklichung im besten Sinne des Wortes.

An anderer Stelle fasst Johannes vom Kreuz seinen ganzen geistlichen Gesang in dem einen Satz zusammen: mirar de Dios es amar, auf Deutsch etwa: Das Schauen Gottes ist Lieben, indem er mich anschaut, liebt Er mich schon – Gott kann etwas, jemanden, mich! nur in Liebe anschauen. Anders ausgedrückt: Was nicht Liebe ist, ist nicht Sein Blick, nicht Er.

 

Und so wiederum eine Einladung: Die Einladung, sich dem Blick Gottes wirklich auszusetzen – so wie Er sich im Allerheiligsten unseren Blicken aussetzt – sich immer wieder neu aus allen Zerstreuungen heraus in diesen liebenden Blick Gottes zu stellen, so wie ich spüre, dass es hier und jetzt dran ist, und mich immer wieder neu diesem Blick zu überlassen, mit allem, was ich heute Abend mitbringe – einschließlich der Widerstände, die sich vielleicht regen – alles, wirklich alles hat Platz in diesen liebenden Blick Gottes. Denn:

Das Schauen Gottes ist Lieben.


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